Aus Erich
Maria Remarque: Im Westen nichts Neues
Trommelfeuer,
Sperrfeuer, Gardinenfeuer, Minen, Gas, Tanks, Maschinengewehre,
Handgranaten - Worte, Worte, aber sie umfassen das Grauen der Welt.
Unsere Gesichter sind verkrustet, unser Denken ist verwüstet,
wir sind todmüde; - wenn der Angriff kommt, müssen manche
mit den Fäusten geschlagen werden, damit sie erwachen und mitgehen;
- die Augen sind entzündet, die Hände zerrissen, die Knie
bluten, die Ellbogen sind zerschlagen. [...]
In den wenigen
Stunden der Ruhe unterweisen wir die Neuen. "Da, siehst du
den Wackeltopp? Das ist eine Mine, die kommt! Bleib liegen, sie
geht drüben hin. Wenn sie aber so geht, dann reiß aus!
Man kann vor ihr weglaufen."
Wir machen ihre Ohren scharf auf das heimtückische Surren der
kleinen Dinger, die man kaum
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George Grosz,
k.v. |
vernimmt,
sie sollen sie aus dem Krach herauskennen wie Mückensummen;
- wir bringen ihnen bei, daß sie gefährlicher sind als
die großen, die man lange vorher hört, wir machen sie
auf den Ton der Gasgranaten aufmerksam und zeigen ihnen die Kniffe,
die sie vor dem Tode retten können. [...]
Sie hören zu, sie sind folgsam - aber wenn es wieder losgeht,
machen sie es in der Aufregung meistens doch wieder falsch.
Haie Westhus wird mit abgerissenem Rücken fortgeschleppt; bei
jedem Atemzug pulst die Lunge durch die Wunde. Ich kann ihm noch
die Hand drücken; - "is alle, Paul", stöhnt
er und beißt sich vor Schmerz in die Arme.
Wir sehen Menschen leben, denen der Schädel fehlt; wir sehen
Soldaten laufen, denen beide Füße weggefetzt sind; sie
stolpern auf den splitternden Stümpfen bis zum nächsten
Loch; ein Gefreiter kriecht zwei Kilometer weit auf den Händen
und schleppt die zerschmetterten Knie hinter sich her. [...]
Doch das Stückchen zerwühlter Erde, in dem wir liegen,
ist gehalten gegen die Übermacht, nur wenige hundert Meter
sind preisgegeben worden. Aber auf jeden Meter kommt ein Toter.
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Jakob van Hoddis:
Weltende (1911)
Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der
Hut.
In allen Lüften hallt es wie Geschrei.
Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei,
Und an den Küsten - liest man - steigt die Flut.
Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen
An Land, um dicke Dämme zu zerdrücken.
Die meisten Menschen haben einen Schnupfen.
Die Eisenbahnen fallen von den Brücken
Bertolt
Brecht
Legende
vom toten Soldaten (1918)
1
Und als der Krieg im vierten Lenz
Keinen Ausblick auf Frieden bot
Da zog der Soldat seine Konsequenz
Und starb den Heldentod.
2
Der Krieg war aber noch nicht gar
Drum tat es dem Kaiser leid
Daß sein Soldat gestorben war:
Es schien ihm noch vor der Zeit.
3
Der Sommer zog über die Gräber her
Und der Soldat schlief schon
Da kam eines Nachts eine militär-
ische ärztliche Kommission.
4
Es zog die ärztliche Kommission
Zum Gottesacker hinaus
Und grub mit geweihtem Spaten den
Gefallnen Soldaten aus.
5
Der Doktor besah den Soldaten genau
Oder was von ihm noch da war
Und der Doktor fand, der Soldat war k. v.
Und er drückte sich vor der Gefahr. |
6
Und sie nahmen sogleich den Soldaten mit
Die Nacht war blau und schön.
Man konnte, wenn man keinen Helm aufhatte
Die Sterne der Heimat sehn.
7
Sie schütteten ihm einen feurigen Schnaps
In den verwesten Leib
Und hängten zwei Schwestern in seinen Arm
Und ein halb entblößtes Weib.
8
Und weil der Soldat nach Verwesung stinkt
Drum hinkt ein Pfaffe voran
Der über ihn ein Weihrauchfaß schwingt
Daß er nicht stinken kann.
9
Voran die Musik mit Tschindrara
Spielt einen flotten Marsch.
Und der Soldat, so wie er's gelernt
Schmeißt seine Beine vom Arsch.
10
Und brüderlich den Arm um ihn
Zwei Sanitäter gehn
Sonst flöge er noch in den Dreck ihnen hin
Und das darf nicht geschehn.
11
Sie malten auf sein Leichenhemd
Die Farben Schwarz-Weiß-Rot
Und trugen's vor ihm her; man sah
Vor Farben nicht mehr den Kot.
12
Ein Herr im Frack schritt auch voran
Mit einer gestärkten Brust
Der war sich als ein deutscher Mann
Seiner Pflicht genau bewußt. |
13
So zogen sie mit Tschindrara
Hinab die dunkle Chaussee
Und der Soldat zog taumelnd mit
Wie im Sturm die Flocke Schnee.
14
Die Katzen und die Hunde schrein
Die Ratzen im Feld pfeifen wüst:
Sie wollen nicht französich sein
Weil das eine Schande ist.
15
Und wenn sie durch die Dörfer ziehn
Waren alle Weiber da
Die Bäume verneigten sich, Vollmond schien
Und alles schrie hurra.
16
Mit Tschindrara und Wiedersehn!
Und Weib und Hund und Pfaff!
Und mitten drin der tote Soldat
Wie ein besoffner Aff.
17
Und wenn sie durch die Dörfer ziehn
Kommt's, daß ihn keiner sah
So viele waren herum um ihn
Mit Tschindra und Hurra.
18
So viele tanzten und johlten um ihn
Daß ihn keiner sah.
Man konnte ihn einzig von oben noch sehn
Und da sind nur Sterne da.
19
Die Sterne sind nicht immer da
Es kommt ein Morgenrot.
Doch der Soldat, so wie er's gelernt
Zieht in den Heldentod.
[Text mit Übersetzung]
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