M – Eine Stadt sucht einen Mörder
Schlussszene – Der Prozess

Beckert: Lasst mich los! Schweine! Was wollt ihr denn von mir? Hilfe! Hilfe! Lasst mich raus! Ich will hier raus...
Schränker: Hier kommst du nicht mehr raus.
Beckert: Aber meine Herren, ich bitte Sie, ich weiß gar nicht, was Sie von mir wollen. Ich bitte Sie, lassen Sie mich doch frei, das Ganze muß doch ein Irrtum sein...
Bettler: Oh, nein, kein Irrtum, ausgeschlossen, da ist kein Irrtum. Nein, nein, kein Irrtum... Kennst du das? So'n Ballon hast du doch der kleinen Elsie Beckmann geschenkt.
Beckert: Elsie, Elsie... Nein! Nein!
Schränker: Wo hast du die Kleine verscharrt? Du Hund.
Beckert: Aber die habe ich ja gar nicht gekannt.
Schränker: Ach, die hast du gar nicht gekannt. Die auch nicht, was? Und die?
Frau: Haltet ihn fest! Haltet ihn fest!
Andere: Aufhalten ! Lasst ihn nicht raus! Haltet ihn fest!
Beckert: Loslassen! Lasst mich los!
Andere: Hau ruck, hau ruck...
Beckert: Ihr habt kein Recht, mich so zu behandeln. Es ist falsch, wenn man kein Recht hat. Ihr habt kein Recht, mich hier festzuhalten.
Frau: Recht? Für solche wie dich gibt's nur ein Recht: totschlagen!
Mann: Totschlagen, jawohl!
Frau: Totschlagen, wie 'nen tollen Hund!
Mann: Kaltmachen, den Hund! Schlagt ihn tot! Totschlagen!
Schränker: Ruhe! Du hast da was von Recht gesprochen. Dir soll dein Recht werden. Hier sitzen lauter Sachverständige in Rechtsfragen. Von sechs Wochen Tegel bis 15 Jahre Brandenburg. Die werden schon dafür sorgen, dass dir dein Recht wird. Bekommst sogar einen Verteidiger. Geht alles nach Recht und Ordnung.
Beckert: Verteidiger? Verteidiger? Ich brauche keinen Verteidiger. Wer will mich denn anklagen? Ihr vielleicht?
Verteidiger: Ich an Ihrer Stelle würde hier nicht so dicke Töne riskieren, Herr. Es geht um Ihren Kopf, falls Sie das noch nicht kapiert haben sollten.
Beckert: Wer sind denn Sie schon wieder?
Verteidiger: Ich habe das zweifelhafte Vergnügen, hier als Ihr Verteidiger zu fungieren. Ich fürchte, dass ich nicht viel nützen werde.
Beckert: Ja, wollt ihr mich denn umbringen? Wollt ihr mich denn einfach kaltmachen?
Schränker: Wir wollen dich unschädlich machen. Das wollen wir. Und ganz sicher unschädlich bist du nur, wenn du tot bist!
Beckert: Aber ihr könnt doch nicht einen nackten Mord an mir begehen!
Alle lachen.
Beckert: Ich verlange, dass man mich der Polizei ausliefert. Ich verlange, dass man mich vor ein ordentliches Gericht stellt.
Schränker: Das könnte dir so passen, mein Junge. Damit du dich auf Paragraph 51 berufst und dein Leben lang auf Staatskosten verpflegt wirst. Und dann brichst du aus, oder es kommt 'ne Amnestie, und du, vergnügt, du bist ja wegen Unzurechnungsfähigkeit gesetzlich geschützt, gehst wieder auf die kleinen Kinder los. Nee, nee. Davon wollen wir nichts mehr wissen. Du musst unschädlich gemacht werden, du musst weg!
Beckert: Aber ich kann doch nichts dafür. Ich kann doch, ich kann doch, ich doch... nichts... doch...
Mann: He he, das kennen wir. Vor Gericht können wir alle nichts dafür.
Beckert: Was weißt denn du, was redest denn du, wer bist du denn überhaupt? Wer seid ihr denn, alle miteinander? Verbrecher! Bildet euch womöglich noch was ein drauf, weil ihr Geldschränke knacken könnt, oder Fassaden klettern, oder Karten zinken, lauter Sachen, denk' ich mir, die ihr gerade so gut lassen könntet, wenn ihr etwas Ordentliches gelernt hättet, oder wenn ihr Arbeit hättet, oder wenn ihr nicht so faule Schweine wärt ! Aber ich, kann ich denn, kann ich denn anders? Hab' ich denn nicht dieses Verfluchte in mir, das Feuer, die Stimme, die Qual,...
Schränker: Du willst also damit sagen, daß du morden musst?
Beckert: Immer, immer muss ich durch Straßen gehen und immer spüre ich, da ist einer hinter mir her - das bin ich selber - und verfolgt mich, lautlos, aber ich höre es doch. Ja, manchmal ist mir, als ob ich selber hinter mir herliefe. Ich will davon, vor mir selber davonlaufen. Aber ich kann nicht, kann mir nicht entkommen, muss, muss den Weg gehen, den es mich jagt. Muss rennen, endlose Straßen... Ich will weg, ich will weg... und mit mir rennen die Gespenster von Müttern, von Kindern. Sie gehen nie mehr weg, sie sind immer da, immer, immer! Nur nicht, wenn ich's tue.
Wenn ich's tue, dann weiß ich von nichts mehr, dann stehe ich vor einem Plakat und lese, was ich getan habe, und lese und lese: das habe ich getan!
Aber ich weiß doch von gar nichts! Aber wer glaubt mir denn? Wer weiß denn, wie's in mir aussieht? Wie es schreit und brüllt da drinnen, wie ich's tun muss... will nicht... muss, will nicht... muss, und dann schreit eine Stimme, und ich kann mich nicht mehr hören... Hilfe! Ich kann nicht, ich kann nicht, ich kann nicht, ich kann nicht...
Schränker: Der Angeklagte hat gesagt, dass er nicht anders kann. Das heißt also, dass er morden muss. Damit hat er sich selber sein Todesurteil gesprochen. Ein Mensch, der von sich selber sagt, dass er zwangsweise fremdes Leben vernichtet, dieser Mensch muss ausgelöscht werden, wie ein Schadfeuer. Dieser Mensch muss ausgerottet werden, dieser Mensch muss weg.
Verteidiger: Ich bitte ums Wort.
Schränker: Das Wort hat der Herr Verteidiger.
Verteidiger: Mein sehr geschätzter Vorredner, der, wenn ich mich nicht irre, wegen Totschlags in drei Fällen von der Kriminalpolizei...
Schränker: Das gehört nicht hierher!
Verteidiger: ... hat behauptet, die Tatsache, dass mein Klient unter einem Zwang handelt, spreche ihm das Todesurteil aus. Er irrt sich. Gerade das Moment des Zwangs spricht meinen Klienten frei. Gerade das Moment des Zwangs enthebt den Angeklagten von der Verantwortung für sein Tun, und für etwas, wofür man nicht verantwortlich zu machen ist, kann man keinen Menschen strafen.
Frau: ... dass die Bestie straffrei ausgehen soll?
Verteidiger: Ich will damit sagen, dass dieser Mensch ein kranker Mensch ist. Und einen kranken Menschen übergibt man nicht dem Henker, den übergibt man dem Arzt. Wofür baut der Staat seine Irrenhäuser?
Mann: Und was geschieht, wenn er ausbricht? (...)
Verteidiger: Einen Menschen zu töten, der für seine Tat nicht verantwortlich zu machen ist, dazu hat niemand das Recht, auch nicht der Staat, und Sie schon gar nicht. Der Staat hat dafür zu sorgen, dass dieser Mensch unschädlich gemacht wird, dass er aufhört, für seine Mitmenschen eine Gefahr zu sein.
Frau: Du hast keine Kinder gehabt. Na also, dann hast du auch noch keins verloren. (...) Frag doch die Mütter.
Frau: Keine Gnade für den Mörder. Totschlagen!
Verteidiger: Ich lasse mich nicht niederschreien von euch. Ich werde nicht dulden, dass in meiner Gegenwart ein Mord begangen wird. Ich verlange, dass diesem Menschen...
Mann: Das ist ja kein Mensch!
Verteidiger: ... dass diesem Menschen der Schutz des Gesetzes zuteil wird
, auf den auch der Verbrecher Anspruch hat. Ich verlange, dass dieser Mann der Polizei übergeben wird.